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Klausners Hochzeit

Vor seiner Wahl stellte sich Klaus Wowereit, einst regierender Bürgermeister von Berlin mit den Worten vor:
“Ich bin schwul! Und das ist gut so!”

Wirklich?      
    
     


Der Samstag hielt, was Kachelmann versprochen hatte. Folglich fanden meine Frau und ich uns wohlvorbereitet gegen neun Uhr auf unserer Terrasse ein, und praktizierten aktive Faulheit dahingehend, dass wir es ablehnten, auch nur den geringsten Finger zu rühren. Ja, wir trieben es sogar soweit, dass wir nicht einmal miteinander sprachen.

An einem warmen Samstag ist es sehr schön auf unserer Terrasse. Schmetterlinge taumeln von Blüte zu Blüte, Meisen streiten sich um ein ganz besonders leckeres Körnchen, aufmerksam beobachtet von unserer Katze, deren Schwanz angriffslustig hin und her peitscht, und der Wind singt ein beruhigendes Lied in den Blättern der schattenspendenden Birke. Wir hatten an alles gedacht. Glaubten wir jedenfalls, bis die Türglocke anschlug. Die hatten wir vergessen abzustellen. Nach dem dritten, schon sehr energischen Läuten drehte ich meinen Kopf vorsichtig zu meiner Frau, die mit erstaunlicher Schauspielkunst tiefsten Schlaf vortäuschte. 

"Es hat geklingelt!" – versuchte ich sie zu wecken, leider vergeblich. Es klingelte bereits zum vierten mal, als ich mich, in allen mir bekannten Landessprachen fluchend zur Tür schleppte. Draußen stand Klausner, ein lieber Freund und Weggefährte. Aber nicht heute. Denn wir hatten anderes geplant, als uns Besuch aufzuhalsen.

"Ich muss mit Euch reden! Sofort! Es geht um Leben und Tod!" – stammelte er als Begrüßung und schob mich mitsamt der Tür in den Hausflur, stürzte in unser gemütlich eingerichtetes Wohnzimmer, steuerte zielsicher den Schrank mit den Spirituosen an, riss meinen besten Whisky an sich und nahm einen tiefen Schluck direkt aus der Flasche. Das hat man davon, wenn man Freunde wie seinesgleichen behandelt und sie in die intimsten Geheimnisse seiner Wohnungseinrichtung Einblick nehmen lässt.

Schwer atmend ließ er sich in einen Sessel fallen, öffnete seinen obersten Hemdknopf und schnappte nach Luft. Aus seinen Augen blickte mich der nackte Wahnsinn an, seine Hände zitterten und rasiert war er auch nicht. Es musste etwas Schlimmes geschehen sein, so dass ich mir weniger Sorgen um den schwindenden Whisky, als vielmehr um sein persönliches Wohlergehen machte. 

"Was ist passiert, dass es um Leben und Tod geht?" – nutzte ich eine Trinkpause, um Näheres zu erfahren.

"Es ist entsetzlich. Ich bin fertig. Ruiniert. Völlig am Ende!"

"Ist Deine Firma pleite, oder haben Sie Dich rausgeschmissen?"

Ich malte mir schon aus, dass Klausner bei uns einziehen wollte. Also so eine Art Sozial-Asyl. Auf alle Fälle sah ich meinen faulen Samstag in weite, in sehr weite Ferne entschwinden. Deshalb nahm ich ihm die Flasche ab um mir selber ein kräftigen Schluck zu genehmigen.

"Komm mit auf die Terrasse, da kannst du uns alles erzählen." – forderte ich ihn auf, stellte den kleinen Whiskyrest mit traurigen Augen in den Schrank zurück und schlurfte durch die Terrassentür in die Sonne, mit Klausner im Schlepptau.

"Wir haben Besuch!" – sprach ich in Richtung des Liegestuhls meiner Frau.

"Ich habe es gar nicht klingeln gehört!" – entblödete sie sich nicht zu sagen, um sich dann aufzurichten, um zu sehen, wer unser Gast sei, den sie dann auch herzlich begrüßte.

"Du hast eine Fahne. Und so wie Du aussiehst, bist Du gerade erst nach Hause gekommen. Schäm Dich!" – schalt sie in Unwissenheit der Geschehnisse den armen Klausner.

"Die Fahne hat er von mir!" – versuchte ich ihn zu verteidigen. "Oder besser gesagt, von meinem besten Whisky!"

Klausner ließ sich stöhnend auf einen Gartenstuhl fallen und verlangte nach Kaffee. Auf Grund meiner guten Vorbereitung stand die Espressomaschine direkt neben meinem Liegestuhl, so dass ich ihm diesen Wunsch sofort erfüllen konnte. Nachdem er sich mit dem ersten heißen Schluck die Lippen verbrannt hatte, forderte ich ihn zu einem umfassenden Bericht auf. Die Wahrheit, und nichts als die Wahrheit.

"Ihr wisst, dass ich seit einiger Zeit mit einem mir sehr lieben Menschen zusammen lebe. Ich möchte sogar behaupten, dass es meine große Liebe ist. Und es ist gegenseitig. Wir sind furchtbar glücklich miteinander. Oder besser gesagt, wir waren es bis heute morgen."

"Habt Ihr Euch gestritten?" – erforschte ich zu wissen.

"In dem Alter streitet man sich nicht mehr. Natürlich haben sie sich getrennt. Seine große Liebe ist auf und davon. Kann ich gut verstehen, so wie er rumläufst. Am frühen Morgen schon stockbetrunken!"

Mit diesem Kommentar zog meine Frau an der Schnur, die das Fallbeil auf Klausners Hals niedersausen ließ und ihn endgültig vernichtete. Tränen standen in seinen Augen, die mich hilfesuchend anflehten.

"Wie kann man am frühen Morgen nur so kaltblütig daherreden. Lass ihn erst einmal erzählen!" – wies ich sie zurecht.

Und Klausner erzählte.

Wie schon angemerkt, hatte er in einem Biergarten seine große Liebe kennen gelernt. Seit dieser Zeit war er wie ausgewechselt und schwebte nur noch in duftenden, rosa gefärbten Wolken. Wir hatten ihn seitdem kaum gesehen, was aber verständlich ist. Er hatte Wichtigeres zu tun. Die Zukunft der Beiden schien klar vorgezeichnet zu sein,, und es war eine schöne Zukunft. Bis heute morgen.

"Heute morgen wurde ich mit dem Ansinnen überrascht, unsere Verbindung legalisieren zu lassen. Also eine richtig amtliche Partnerschaft. Mit allen Rechten und Pflichten, die einem das Gesetz da aufbürdet. Wisst Ihr, was das für mich bedeutet?"

"Wo ist das Problem? Das machen täglich viele Menschen. Bei den entsprechenden Ämtern gibt es Wartezeiten."  – versuchte ich ihn zu beruhigen.

"Oder willst Du etwa kneifen? Dir ein Hintertürchen auflassen? Ist es nun die große Liebe oder nicht?"

"Nein! natürlich nicht. Das heißt, ja. jedenfalls, was die große Liebe betrifft. Aber versteht Ihr denn nicht? Wenn das ruchbar wird. Ich habe einen angesehenen Posten. Bin Vorstandmitglied in der Mehrheitspartei, Kassierer im Postsparverein und habe einen eigenen Briefkasten. Die Leute werden mit dem Finger auf mich zeigen."

"Aber, um alles in der Welt, was ist den Besonderes daran, wenn Du tust, was schon viele vor Dir getan haben?"

"Du willst mich einfach nicht verstehen. Es ist meine für heutige Zeiten etwas abwegige Neigung, das Geschlecht betreffend, die ich gerne unter der Decke gehalten hätte. Du wirst jetzt sagen, dass das alles nicht mehr so schlimm ist. Aber Du sollst Dich ja auch nicht öffentlich outen. Von mir wird es erwartet. Und komm mir nicht mit dem Blödsinn, dass die gesetzliche Grundlage dafür vorhanden ist. Ich bin da etwas altmodisch. Und mein Parteivorsitzender auch. Ich höre ihn schon lamentieren, dass er ausgerechnet von mir nicht erwartet hätte, gegen den Strom der Zeit zu schwimmen. Und dann auch noch offiziell und öffentlich. Du erwartest vielleicht sogar noch, dass wir eine große Feier machen, oder?"

Nun gut. Insgeheim musste ich ihm Recht geben. Das Verlangen seiner großen Liebe passte nicht so richtig in die Erwartungen einer kleinstädtischen Gesellschaft. Jedenfalls war es nicht modern, und auf keinen Fall in. Aber was sollte ich ihm raten? Durfte man eine solch schöne und reine Liebe opfern, nur um sich der öffentlichen Meinung zu beugen? Sollte man nicht vielmehr ein Exempel statuieren und stolz zu seinen Neigungen stehen? Allen Widerständen zum Trotz?

"Sie es einmal von der anderen Seite!" – begann ich mein Plädoyer für die legale Verbindung zweier sich liebender Menschen.

"Gerade weil Du ein angesehener Zeitgenosse bist, absolut integer, allem Modernen aufgeschlossen und tolerant, solltest gerade Du mit gutem Beispiel vorangehen. Mit stolz erhobenem Haupt. Allen Widerständen zum Trotz. Beweise den ewig Gestrigen Deinen mannhaften Mut und Deine Entschlossenheit. Nur, wer gegen den Strom schwimmt, kann zur Quelle gelangen. Es geht um Euer persönliches Glück. Was schert Euch die öffentliche Meinung? – 'Hier bin ich und hier steh ich. Steinigt mich meinetwegen. Aber mein Glück könnt Ihr nicht zerstören, ihr Idioten.' – Das muss Deine Einstellung sein. Und Du bist nicht allein. Wir stehen zu Dir und werden Euch begleiten."

"Hört, hört! Der große Motivator erhebt seine Stimme!" – soufflierte meine Frau, die sich bis jetzt erstaunlich ruhig verhalten hatte.

"Merkst du denn nicht, dass Du ihn direkt in den Kugelhagel schickst? Wie konnte ich nur so einen Dummkopf und Ignoranten heiraten? Ist Dir denn jeglicher Sinn für die Realität abhanden gekommen? Willst du wirklich zusehen, wie ihn die öffentliche Meinung abschlachtet?"

Ganz unrecht hatte sie ja nicht. Es reizte mich schon zu erfahren, was alles passieren würde, wenn Klausner tatsächlich mit seiner großen Liebe in aller Öffentlichkeit aufmarschieren würde. Aber es ging um Klausners Lebensglück.

"Weib, schweig stille! Aus Dir spricht Angst, Hader und Gefallsucht. Schlechte Ratgeber für einen verzweifelten Menschen. Wir werden an seiner Seite sein und notfalls mit ihm untergehen!"

Bei diesen großen Worten stand ich auf und streckte ihm mit ernster Miene meine rechte Hand hin, die er freudig ergriff und nicht mehr losließ.

"Ihr würdet tatsächlich mitkommen?" – fragte er mit brechender Stimme.

"Und wir werden jede Tomate auffangen, die jemand nach Euch wirft. Verlass Dich drauf!"

Das wahrscheinlich folgende ernste Gespräch mit meiner Frau lag mir schon schwer im Magen, denn es würde mich mehr Überzeugungskraft kosten, sie mit in Klausners Gefolge zu bringen,  als diesen selber.

Klausner stand auf, ging ins Wohnzimmer und holte sich den Rest meines besten Whiskys, den er mit einem weiteren Espresso hinunterspülte. Sein Blick war träumend in die Ferne gerichtet, entbehrte aber nicht einer gewissen Härte und Entschlossenheit. Zehn Tage später lag die Einladung im Briefkasten. Gedruckt auf feinstem, handgeschöpftem Büttenpapier. Auf der Vorderseite waren zwei ineinander verschlungene goldene Ringe geprägt. Pünktlich fanden wir uns im besten Hochzeitsstaat vor dem Standesamt ein, und erlebten mit bewegten Herzen, wie Klausner und seine große Liebe in einer weißen Hochzeitskutsche vorfuhren und glücklich lächelnd den erstaunten Passanten zuwinkten. Mut hatte er, das musste man schon sagen.

Die Formalitäten waren schnell erledigt und sind hinreichend bekannt. Sie waren ein schönes Paar, Klausner und seine Gisela in ihrem wunderschönen weißen Hochzeitskleid, und wir hießen sie herzlich willkommen im Club der ewig Gestrigen, den Heterosexuellen, die allen Zeitströmungen zum Trotz zu ihrer Neigung stehen und wild um sich beißen.

Und das ist gut so!

© 2003 Erwin Grab

Bild "Andenklippenvogel-Vogel" von bilder.n3po.com